BEER: Wiederaufbau der Ukraine ja, aber mit europäischen Schulden erweist sich EU einen Bärendienst

18.05.2022

Anlässlich der jüngsten Äußerungen des EU-Wirtschaftskommissars Paolo Gentiloni „Europäische Schulden für Ukrainischen Wiederaufbau“ und vor dem Hintergrund erster Vorschläge der EU-Kommission zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine (18.5.22) erklärt EP-Vizepräsidentin Nicola Beer (Renew Europe, FDP):

„Der Wiederaufbau der Ukraine wird die Aufgabe einer Generation werden. Europa wird sich vor dieser Aufgabe nicht wegducken. Aber die Rufe nach neuen, europäischen Schulden sind falsch. Die neue Friedensdividende heißt Systemwechsel statt Draufsatteln. Raus aus den ewig gestrigen Reflexen vom Schuldenmachen. Finanziellen Spielraum für ein europäisches Krisendepot schaffen, ja. Unbedingt. Aber durch radikale Entlastung des Mittelstands. Das ist der Zeitgeist in Kriegszeiten. Wer jetzt an alten Denkmustern festhält, gefährdet nicht nur den Wiederaufbau in der Ukraine, sondern unsere Resilienz zu Hause. Macht und Einfluss funktionieren nicht mit leerem Portemonnaie. Will Europa Friedensstifter sein und Ressourcen verteilen, muss es seine innere Verfasstheit stärken. Derzeit passiert fatalerweise genau das Gegenteil, eine gefährliche Schieflage entwickelt sich: Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte rollt massiver Mehraufwand auf die Wirtschaft und Unternehmen zu. Aufgrund neuer Kriterien erhöht sich geschätzt die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen, von ungefähr 11.000 auf etwa 50.000; wir leisten uns damit eine wirtschaftliche Vollbremse: Die verstärkte Auskunftspflicht erzeugt ein Dilemma: Kreditinstitute stehen vor der Entscheidung, Mittelständler zu unterstützen oder mit „Green Rating“ zu punkten, viele Kredite kommen so nicht mehr zustande. Eine Krise der Mittelstandsfinanzierung droht. Hier entsteht massiver Mehraufwand. Mittelständler fürchten nicht zu Unrecht, vor lauter Berichten nicht mehr zum Wirtschaften zu kommen. 

Europas Mittelstand stärken, das ist Friedenskraft stärken. Jeder Euro, der nicht in Regulierung, in Bürokratie gesteckt werden muss, kommt der neuen Friedensdividende zugute:  er kann in Geschäftsmodelle investiert werden, die Wohlstand schaffen, der wiederum unsere Abwehrkräfte stärkt. Ein günstigerer Boden für KMUs, verknüpft mit dem unbedingten Willen und nachfolgenden Taten, Bürokratie abzuspecken, kann Europas Abwehr und Aufbaukraft für die Ukraine und künftige Krisenherde nachhaltig stärken; ganz ohne astronomische neue, aktuell diskutierte Summen dafür auszuschütten, von gemeinschaftlichen Schulden ganz zu schweigen. Durch Mittelstand den Frieden stärken. Es ist kein altbackener Reflex, es ist friedensstiftende Avantgarde. Und es ist machbar für Europa, hier und jetzt.“